Out & About: Bezeichnest du dich selbst als eine Künstlerin?
Cécile Haesler: Diese Frage ist mir tatsächlich immer etwas unangenehm. Ich habe das Gefühl, gerade weil ich nicht an einer Kunsthochschule studiert habe, kann ich von mir nicht als Künstlerin sprechen. Ich habe aber auch schon Menschen getroffen oder von Künstlern erfahren, die nicht Kunst studiert haben. Das wirft die Frage auf, ab wann man sich «Künstler» nennen kann. Ich besitze jedoch die vielleicht etwas romantisierte Ansicht, dass man Künstler ist und es nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt wird, also dass Kunst nicht etwas primär Erlernbares ist. In diesem Kunstverständnis werden für mich auch Menschen miteinbezogen, die ich «Künstler» bezeichnen würde, obwohl sie vielleicht gar keine materielle Kunst machen. Es ist für mich eben auch eine Bezeichnung für vielleicht so etwas wie eine Haltung, die man dem Leben gegenüber einnimmt. Wahrscheinlich hadere ich deshalb mit der Antwort, weil mir sehr bewusst ist, dass viele verschiedene Konzeptionen darüber existieren, was ein Künstler ist. Für mich selbst würde ich mich aber auf jeden Fall als Künstlerin beschreiben.
«Jede neue Erfahrung löst meistens wiederum eine Entwicklung in eine bestimmte Richtung aus.»
Was inspiriert dich?
Mich inspirieren Kunstausstellungen oder der Austausch mit anderen Menschen, die künstlerisch tätig sind! Sei das in Musik, Literatur, Film…
Auch Reisen oder Naturphänomene können inspirierend sein. Inspiration kann man weniger suchen, sie findet einen und meist in unerwarteten Momenten. Ich versuche deshalb, immer mit offenen Augen durch die Welt zu gehen. Plötzlich erblickt man etwas Ungewöhnliches im Alltäglichen. Deshalb findet man in fremden Ländern ja auch so oft Inspiration, weil alles neu ist und man so vieles entdecken kann. Aber auch in Gesprächen kann Inspiration aufkommen oder in Kollaborationen. Z.B. hatten vor ein paar Jahren eine Freundin von mir aus dem Germanistikstudium und ich die Idee, dass ich ihren Gedichtband illustriere. Solche Zusammenarbeiten sind wahnsinnig inspirierend und motivierend!
Wie hast du begonnen?
Die Kunst hat mich schon mein ganzes Leben begleitet. Wie die meisten Kinder habe ich viel gezeichnet. Ich liebte es, in Fantasiewelten zu tauchen, Geschichten zu erfinden und mich mit den Figuren darin auseinanderzusetzen. Ich habe sehr gern gelesen und sehr viel Inspiration in Tiergeschichten gefunden (Wind in den Weiden, Beatrix Potter…). Das Zeichnen und im Spezifischen der Drang zu Kreieren ist mir dann auch geblieben. Heute möchte ich aber neue Wege finden, also nicht ausschliesslich im Zeichnerischen verhaftet bleiben.
Falls du die Chance hättest, Kunst zu studieren, würdest du es machen?
Ich habe mir oft überlegt, Kunst zu studieren und habe auch den Vorkurs begonnen. Dort habe ich aber gemerkt, dass mich das Format des Kunstschaffens in einer Institution etwas beengt. Ich hatte das Gefühl, die Lust zum Zeichnen etc. kommt nicht mehr von Innen, sondern wird von Aussen auf mich draufgelegt. Ein anderes Gegenargument gegen ein Kunststudium ist der Fokus in der Kunstwelt auf konzeptuelle Kunst und damit die zweitrangige Rolle des Handwerklichen. Das sind jedoch die einzigen Gegenargumente. Wenn ich die Möglichkeit hätte, würde ich trotzdem sehr gerne Kunst studieren, weil man erstens im Austausch mit den Mitstudierenden sicherlich sehr viel Anstoss und Inspiration kriegt, zweitens sich in einem Umfeld befindet, das das Kunstschaffen leichter macht (Zuhause habe ich manchmal zu wenig Platz oder ich muss mich auf eigene Faust darum kümmern, wie ich die Materialien beschaffe) und drittens die Anbindung an Möglichkeiten zu Kooperationen oder Ausstellungen durch eine Kunstschule vermittelt werden kann (man kann sich natürlich auch selber ein Netzwerk schaffen, aber das ist viel schwieriger). Diese drei Argumente hat mir damals der Leiter von der Kunsthochschule in Bern gegeben und ich fand sie sehr überzeugend.
Denkst du eine Weiter- oder Ausbildung hätte dich schneller zum jetzigen Stand geführt?
Wahrscheinlich – denn jede neue Erfahrung löst meistens wiederum eine Entwicklung in eine bestimmte Richtung aus.
Hast du eine Grundaussage bei deinen Werken?
Ich denke, im Zentrum meines Kunstschaffens stehen Inspiration, Authentizität und Freiheit. Dies sind jedenfalls die Dinge, die mich antreiben oder zu denen ich hinstreben möchte. Wichtig ist es mir, dass die Kunstwerke von Innen kommen und echt wirken. Eine Aussage zu einem Kunstwerk muss durch den Prozess entstehen, es wäre komisch für mich, im Vornherein eine Aussage zu haben und diese dann visualisieren zu wollen (es wäre aber auch einmal interessant als neue Schaffensmethode). Ausserdem finde ich es auch wichtig, dass immer genug Raum bleibt für den Betrachter, seine eigenen Erkenntnisse, Aussagen, Schlüsse etc. aus einem Kunstwerk zu ziehen. Ganz unabhängig davon denke ich aber, dass ein Betrachter immer seine eigenen Gedanken zu einem Kunstwerk haben wird (wenn er/sie sich damit auseinandersetzt). Das hat man eigentlich gar nicht so sehr in der Hand… Wenn ich über meine Kunst nachdenke, was ich anfangs nicht so sehr getan habe, fällt mir retrospektiv auf, dass mich das Abgründige hinter einer niedlichen Fassade interessiert. Ich habe 2017 während der Art Basel, wo ich als Guard gearbeitet habe, ein Kunstwerk von Nathalie Djurberg entdeckt, was mich wahnsinnig inspiriert und dann zu meinen Skulpturen geführt hat. Meiner Meinung nach existiert in diesem Kunstwerk (Nathalie Djurberg & Hans Berg: «Who am I to judge, or, it must be something delicious», 2017) eine starke Dissonanz zwischen dem Farbigen, dem zuckersüss wirkenden Visuellen und dem Inhaltlichen. Ich fühle mich Kunst hingezogen, die nicht direkt ist, sondern symbolisch, metaphorisch… und dieser persönliche Geschmack kommt wohl auch in meinen Arbeiten zutage, jedenfalls ist das etwas, was mir rückblickend auffällt.
«Ich denke jedoch, am allerwichtigsten ist es, immer sich selbst treu zu bleiben.»
Verdienst du durch deine Kunst Geld?
Durch kleine Ausstellungen oder an kulturellen Veranstaltungen habe ich manchmal etwas Geld verdient, aber niemals in dem Masse, dass ich davon leben könnte.
Hast du noch zusätzliche Einkommensquellen?
Ja, momentan mache ich eine deutsche Sprachassistenz an einem Gymnasium in Paris.
Hast du schon mal deine Werke ausgestellt?
Während dem Vorkurs gab es die Möglichkeit, seine Werke im Salzhaus Brugg auszustellen. Ich habe mich gemeldet und zusammen mit ein paar anderen vom Vorkurs in der Ausstellung MehrSalz einige meiner Zeichnungen ausgestellt. Es waren damals noch schwarz-weiss Zeichnungen und zu dem Zeitpunkt habe ich viel mit Druckunterlagen experimentiert. Die Zeichnungen hatte ich auf mit Schwarztee gefärbtes Papier gedruckt. Das war meine erste Ausstellung und es hat mir sehr viel Spass gemacht!
Hast du einen Tipp für angehende junge Künstler*innen?
Ich glaube, es ist sehr wichtig, sich als Erstes im Klaren darüber zu sein, was es heisst, als Künstler zu leben, das Leben von seiner Kunst abhängig zu machen. Ich glaube auch, dass es sehr wichtig ist, ein gutes Netzwerk zu schaffen. Manchmal kommt es mir so vor, dass sich die Persönlichkeitsmerkmale, die Künstler haben, sehr mit den Persönlichkeitsmerkmalen widersprechen, die nötig sind, um von der Kunst leben zu können. Damit meine ich das Vermarkten der eigenen Kunst, bzw. von sich aufmerksam machen etc. Wenn man das nicht so gut kann, müsste man sich wahrscheinlich einen Manager zulegen.
Ich denke jedoch, am allerwichtigsten ist es, immer sich selbst treu zu bleiben. Wenn man nämlich versucht, «den Zeitgeist zu treffen» oder Dinge zu machen, die anderen gefallen können – weil man ja davon leben möchte – ist es schade um die Kunst, die ja gerade heutzutage, wie vielleicht nie zuvor, so sehr nur für sich selbst im Dienst steht.
Liebe Cécile, vielen Dank für Deine inspirierende Antworten! Wir wünschen Dir von Herzen alles Gute auf Deinem weiteren Weg als Künstlerin.
Interview von Ina Bandixen
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In der Interviewserie «Künstler*innen ohne Kunststudium» haben wir Interviews mit Kunstschaffenden geführt, die keine formale Ausbildung in der Freien Kunst haben und unterschiedliche Hintergründe in sich vereinen. Es ist uns wichtig aufzuzeigen, dass das oftmals noch elitäre Denken in konservativen Kunstinstitutionen für viele Personen eine Barrikade darstellt, etwa dann, wenn diskriminierende Strukturen, rassistische und sexistische Haltungen oder auch finanzielle Schranken den Eintritt ins Studium erschweren. Auf der anderen Seite geht es auch um das Verständnis, dass Lebensläufe nicht immer einer linearen und klaren Linie folgen und dass Umwege und fachfremde Hintergründe einen grossen Mehrwert darstellen können. In der Serie beantworten sieben Kunstschaffende dieselben zehn Fragen zu ihrer eigenen Vita und wie sie dort gelandet sind, wo sie jetzt sind. Sie erzählen von ganz individuellen und eigensinnigen Wegen zur Kunst, die zeigen, wie vielfältig der Weg ins professionelle Schaffen sein kann.